Die 19. Architekturbiennale wird zum Denkraum für globale Herausforderungen und lokale Antworten. Der österreichische Pavillon zeigt, wie wir in Zukunft besser leben könnten – zwischen Wien, Rom und einer Prise Utopie.
„Architektur muss so flexibel und dynamisch werden wie die Welt, für die wir heute gestalten.“ Dieser Satz stammt von Carlo Ratti – Architekt, Forscher, Denker. Als Leiter des Senseable City Labs am MIT und Gründer eines der innovativsten Architekturbüros Italiens, Carlo Ratti Associati, kuratiert er 2025 die Architekturbiennale in Venedig. Sein Motto: „Intelligens. Natural. Artificial. Collective.“ Das klingt technisch, meint aber etwas ganz Menschliches: Wie können Architektur und Stadtplanung intelligenter auf die Veränderungen unserer Welt reagieren? Vom 10. Mai bis zum 23. November wird Venedig zu einem Labor, das nicht nur neue Gebäude zeigt – sondern neue Denkweisen.

Einen besonders starken Auftritt legt heuer der österreichische Pavillon hin. Unter dem Titel „Agency for Better Living“ stellen die Kurator:innen Michael Obrist, Sabine Pollak und Lorenzo Romito die Frage: Was bedeutet heute gutes, zukunftsfähiges Wohnen? Im Mittelpunkt stehen zwei Städte – Wien und Rom – die auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Thema Wohnen umgehen. Wien steht für das berühmte Modell des sozialen Wohnbaus, das von der Stadt organisiert und verwaltet wird. Leistbares Wohnen für alle – top-down geplant, langfristig gedacht.

Rom dagegen ist bekannt für seine informellen Strukturen: leerstehende Gebäude, von Menschen besetzt, umgewidmet, bewohnt. Bottom-up entstanden, improvisiert, kreativ – aber oft auch prekär. Beide Städte zeigen auf ihre Weise, wie das Leben in der Stadt gestaltet werden kann. Und der österreichische Beitrag fragt: Was können sie voneinander lernen?
Megastructure on the Couch
Der österreichische Pavillon nutzt seine Architektur selbst als Bühne: Eine einst von Josef Hoffmann entworfene symmetrische Anlage wird zur Erzählform. Auf der einen Seite: das Wiener System. Auf der anderen: Beispiele aus Rom. In der Mitte ein Möbelstück, das beides verbindet: „Megastructure on the Couch“ – inspiriert vom Wohnpark Alt-Erlaa, einem Symbol für sozialen Wohnbau in Österreich als Sitzgelegenheit, Skulptur oder auch Denkpause.

Neun Stationen zeigen das Wiener Modell, ergänzt durch konkrete Projekte aus der Gegenwart. Sieben weitere Stationen präsentieren Beispiele aus Rom, wo Bürger:innen eigene Wohnformen entwickelt haben – mit erstaunlicher Kreativität. Im Innenhof des Pavillons befindet sich das „Plateau“ – ein offener Ort für Gespräche und Austausch. Die Fläche misst 25 Quadratmeter – genauso viel, wie laut neuen Wohnkonzepten pro Person ausreichend sein könnte, wenn es gemeinschaftlich genutzte Flächen dazu gibt. Der Boden ist aus Ziegeln gebaut, produziert in der Nähe von Venedig – und nach Ende der Biennale für neue Wohnprojekte wiederverwendbar. Dazwischen wachsen Pflanzen, die besonders hitzeresistent sind – passend zur Zukunft in wärmeren Städten. „Wir wollen die Biennale nutzen, um im Sinne einer ‚Intelligens‘ das Wissen der beiden Systeme in Wien und Rom mit möglichst vielen anderen Menschen zu teilen.“, sagen die drei Kurator:innen. „Eine der Aufgaben der Agency wird sein, diese Diskussion auch über die Biennale hinaus am Laufen zu halten.

Internationale Beispiele
Natürlich ist Österreich nicht allein mit seinen Fragen. In ganz Venedig verteilen sich mehr als 750 Beiträge – von bekannten Architekturbüros, Forschungseinrichtungen und Kollektiven.
Kengo Kuma: Natürlichkeit trifft KI
Im Bereich „Natural Intelligence“ führt Kengo Kuma mit dem Projekt Living Structure vor, wie sich traditionelle japanische Holzverbindungen mit künstlicher Intelligenz kombinieren lassen, um scheinbar unbrauchbares Holzmaterial in belastbare Bauteile zu verwandeln. Der Brückenschlag zwischen Handwerk und Hightech gelingt hier nicht nur formal, sondern auch ökologisch.
Deutschland im Stresstest
Der deutsche Pavillon setzt auf sinnliche Erfahrung: „Stresstest“ lässt Besucher:innen die Hitze der Städte körperlich spüren. Sensorische Installationen, Hitzekammern und kühlende Gegenräume – entworfen von fast 50 Landschaftsarchitekt:innen – machen Klimastress erlebbar. Mit dabei u.a. Atelier le balto, LOLA und Vogt Landschaftsarchitekten.
Belgien als Biosphäre
Der belgische Beitrag „Building Biospheres“ zeigt unter der Leitung von Bas Smets und Stefano Mancuso, wie Gebäude selbst zu atmenden Organismen werden könnten – mit Pflanzen, die das Raumklima nicht nur beeinflussen, sondern regulieren.
Dänemark denkt das Bauen weiter
Der dänische Architekt Søren Pihlmann inszeniert im Projekt „Build of Site“ den Bestand als Experimentierfeld. Im Originalbau der 1950er-Jahre wird in Echtzeit mit gebrauchten Materialien gearbeitet – gemeinsam mit Studierenden aus Kopenhagen und Zürich.

Lorenzo Romito, Sabine Pollak, Michael Obrist
(c) Hertha Hurnaus; Luca Ventura; art Phalanx; Zara Pfeifer