Ob Mikrohaus im Burgenland, reduziertes Atelier am Attersee, nachhaltiger Neubau am Weissensee oder gestalterisches Statement im Rheindelta: Die neue Uferarchitektur präsentiert sich vielseitig. Design Deluxe hat sich an den heimischen Seen umgesehen.
Die Landlust der Städter erlebt eine Wiedergeburt. War es in der guten alten Zeit nur dem Adel und dem gehobenen Bürgertum vorbehalten, vor der Hitze in den Städten zu flüchten, zieht es im 21. Jahrhundert wieder breite Bevölkerungsschichten aufs Land – oder genauer gesagt: an den See. Erfreulich für die Touristiker, erfreulich auch für Architekten und Designer: Denn mit dem wachsenden Interesse an der heimischen Landschaft steigt auch die gestalterische Qualität des Gebauten.
Vom Neusiedlersee bis zum Weissensee, vom traditionsreichen Wörthersee bis zur international geprägten Bodenseeregion entstehen Bauten, die mit ihrer Umgebung sprechen – nicht über sie hinweg. Die Architektur wird leiser, präziser, landschaftsverbundener. Sie spielt mit Licht, Raum und Erinnerung. Und manchmal auch mit Geschichte.
Der See als architektonisches Gegenüber
„Wasser ist der direkteste Spiegel, den ein Bauwerk haben kann“, sagte einst der Schweizer Architekt Peter Zumthor. Architektur am See ist ein Dialog mit der Natur – einer, der auf Augenhöhe geführt werden will.
Moderne Seearchitektur in Österreich folgt dieser Haltung: Flache Volumen, großzügige Fensterflächen, natürliche Materialien wie Holz, Stein und Glas. Die besten Projekte verschwinden nicht, aber sie treten auch nicht in Konkurrenz zur Landschaft oder dem Alteingesessenen. Stattdessen entstehen stille, selbstbewusste Gebäude, die sich dem Ort anpassen.
Neusiedlersee – Reduktion in der Weite
Der Neusiedlersee liegt flach in der pannonischen Tiefebene, eingerahmt von Schilfgürteln und weiten Horizonten. Die Architektur dieser Gegend ist ebenso zurückhaltend: eingeschossige Bauten in Hofstruktur, mit Lehm verputzt oder in unbehandeltem Holz gehalten.
Moderne Ferienhäuser und Rückzugsorte in der Region zitieren diese Bautradition – etwa durch Innenhöfe, niedrige Mauern, perforierte Fassaden. Die Stimmung ist meditativ: Licht und Schatten stehen im Zentrum, nicht Volumen oder Form. Wer hier baut, baut gegen den Wind und mit der Weite.
So wie „Neuer Strand Neusiedler See“, ein modernes Freibad und Marina-Gebäude, geplant von Studio Hoffelner Schmid aus Wien, das sich flach und langgestreckt an die Uferzone anschmiegt. Das Projekt gilt als „Best Practice“ für sensitives Bauen im UNESCO-Welterbegebiet.

Attersee – Farbe, Kunst und Horizont
Für den Wiener ist der Attersee ein Synonym für türkisblaues Wellenspiel, bunte Bauerngärten und verschlafene Bürgervillen – unbeschwerte Sommerfrische eben, wie sie im Buche steht. Kein Wunder, dass sich hier einst das Großbürgertum, Industrielle und Künstler niederließen.
Gustav Klimt war der berühmteste unter ihnen. Zwischen 1900 und 1916 verbrachte er beinahe jeden Sommer mit Emilie Flöge am Attersee. In dieser Zeit entstanden ikonische Werke wie „Landhaus am Attersee“, „Schloss Kammer“, „Kirche in Unterach“ oder „Litzlberg“. Der See wurde zum künstlerischen Zufluchtsort – und die umgebende Architektur zur stillen Muse.
Heute tritt eine neue Architektursprache hinzu: reduzierte, lichtdurchflutete Baukörper, die den Geist der Sommerfrische in eine neue Zeit tragen. Zwischen den alten Villen entstehen moderne Rückzugsorte, die das Licht und die Farben des Sees inszenieren – nicht imitieren.
Am Attersee entstand ein besonderes Wohnhaus von Hertl Architekten (Michael Albrecht & Gernot Hertl, Wien), das sich durch eine reduzierte Formensprache auszeichnet. Mehrere kubische Baukörper sind versetzt zueinander angeordnet und erzeugen so spannende Raumbezüge. Raumhohe Fensterfronten lassen viel Tageslicht hereinströmen und schaffen eine starke Verbindung zum türkisblauen Wasser. Das Haus versteht sich als moderner Beitrag in einer Seefronttradition

Traunsee – Kontrast und Kulisse
Der tiefste See Österreichs war einst die Bühne der Aristokratie. In Bad Ischl, nur wenige Kilometer entfernt, verbrachte Kaiser Franz Joseph I. von 86 Sommern nur drei nicht im kaiserlichen Refugium. Auch Sisi liebte den Ort – und mit dem Hof kamen Kultur, Gesellschaft und Architektur.
Heute ist der Traunsee eine der expressivsten Seelandschaften des Landes. Felsen, dunkles Wasser, schroffe Hänge – sie verlangen nach architektonischem Kontrast. Entsprechend mutig sind viele Neubauten: Sichtbetonterrassen, kubische Baukörper, zurückgenommene Fassaden aus Holz oder Cortenstahl.
Gleichzeitig entstehen auch Projekte, die den historischen Geist von Bad Ischl und dem Salzkammergut aufgreifen: Häuser mit Referenz an klassische Pavillons, restaurierte Jagdvillen, die modern ausgestattet, aber denkmalgerecht erhalten werden.
Lakonis Architekten aus Wien entwarfen 2014 zwei elegante Lofts aus Holz und Glas, die oberhalb des Traunsees in die Hanglage eingebettet sind. Die kubische Form, großflächige Verglasung und Materialien aus Lärchenholz schaffen einen offenen Wohnraum mit direktem Seebezug. Regionale Materialien und hochwertige Innenausstattung vermitteln zugleich Naturverbundenheit und gestalterische Klarheit.
Wörthersee – Der mondäne Klassiker
Die sogenannte Wörthersee-Architektur mit ihren verspielten Türmchen, Veranden und Ornamenten ist ein Unikat.
Ein besonderer Vertreter dieser Epoche: das Werzer Bad, 1895 vom tschechischen Architekten Josef Fuchs entworfen. Die filigranen Holzbauten mit ihren weißgestrichenen Balken bilden bis heute eine ikonische Kulisse für Badegäste. Weitere Perlen dieser Ära: die Villa Venezia im italienischen Renaissancestil, die Villa Seewarte mit ihrem polygonalen Turm, oder die prächtige Villa Seeblick. Besonders geschlossen zeigt sich das Ensemble rund um die Villa Wörth, Miralago und Seehort, das vom Wiener Architekten Carl Langhammer stammt.
Doch auch hier zieht eine neue Ästhetik ein: moderne Designhotels, luxuriöse Privatresidenzen, Baukörper mit viel Glas und klarer Kante.
Ein klassischer Höhepunkt der Wörthersee-Architektur: Das Werzer Bad wurde 1895 vom tschechischen Architekten Josef Viktor Fuchs konstruiert. Die zarte Holzkonstruktion mit ornamental verspielten Pavillons und weiß gestrichenen Balken ist bis heute in Funktion und vermittelt eine filigrane Leichtigkeit. Fuchs entwarf zudem weitere herausragende Villen der Region – etwa die Villa Venezia, Seewarte oder Wörth und Miralago. Dieses Ensemble steht exemplarisch für die romantisierte Baukultur der Sommerfrische-Epoche.

Weissensee – Die leise Avantgarde
Der Weissensee ist der vielleicht unberührteste der großen Seen. Autoverkehr ist reglementiert, der See gilt als ökologisches Vorzeigebeispiel. Entsprechend dezent ist auch die Architektur.
Hier entstehen keine Prestigeobjekte, sondern Bauten, die sich nahezu nahtlos in die Natur fügen: Chalets mit Holzschindeln, Hotels mit begrünten Dächern, Stege aus unbehandeltem Lärchenholz.
Innen herrscht Reduktion: viel Weiß, viel Holz, gedeckte Farben. Kein Schnörkel lenkt vom Blick auf das Wasser ab. Architektur bedeutet hier vor allem: Unsichtbarkeit durch Integrität.
Ein gelungenes Beispiel für sensible Erweiterung in kleinteiliger Struktur ist das Chaletdorf des Traditionshotels Regitnig am Weissensee. Die 2017 fertiggestellten, reihenhausähnlichen Wohneinheiten wurden von Architekt Stefan Thalmann (okai architektur) entworfen und passen sich mit ihren Giebeldächern und der gestaffelten Anordnung harmonisch in das Dorfbild von Techendorf ein. Die Verwendung von unbehandeltem, regionalem Holz sowie die bewusste Maßstäblichkeit zeigen, wie moderne Architektur Rücksicht auf gewachsene Strukturen nehmen kann – ohne gestalterische Kompromisse. Für die gelungene Verbindung aus traditioneller Dachform, nachhaltiger Bauweise und landschaftlicher Einbindung wurde das Projekt mit dem Kärntner Holzbaupreis ausgezeichnet.

Bodensee – Grenzenlose Klarheit
Der Bodensee ist ein Dreiländerkulturraum. Zwischen Bregenz, St. Gallen, Lindau und Konstanz fließt nicht nur Wasser, sondern auch Gestaltungsgeist: österreichische Klarheit, schweizerische Reduktion, deutsche Experimentierfreude. Es ist ein Ort, an dem Architektur nicht singulär auftritt, sondern Teil eines kulturellen Zusammenhangs wird.
Insbesondere auf österreichischer Seite, im Vorarlberger Rheintal, hat sich eine Architekturszene etabliert, die europaweit Beachtung findet. Vorarlberger Architekturbüros wie Baumschlager Eberle, Marte.Marte oder Bernardo Bader prägen die Region mit Bauten, die sich durch technische Raffinesse, formale Zurückhaltung und atmosphärische Dichte auszeichnen.
Hier werden Ferienhäuser nicht als Luxusinseln geplant, sondern als Erweiterung der Landschaft. Uferpromenaden werden bewusst offen gestaltet, mit freiem Zugang für alle. Häuser stehen oft auf Stelzen – nicht zur Zurschaustellung, sondern zum Schutz des Bodens. Es wird mit Holz gearbeitet, nicht aus Romantik, sondern aus Überzeugung. Wärmepumpen, PV-Anlagen, Passivhausstandards sind selbstverständlich.
Gestalterisch sind die Bauten oft von einer beinahe klösterlichen Disziplin geprägt: keine überflüssigen Elemente, keine vordergründige Materialinszenierung. Stattdessen: Proportion, Lichtführung, Funktionalität
Das VA House, realisiert von Sebastian David Büscher (Design & Architektur) gemeinsam mit Immobilienmaklerin Claudia Büscher, entstand 2024 in Weiler bei Bregenz – zwar nicht direkt am, aber nicht weit vom Bodensee entfernt. Das als modernes A‑Frame-Haus konzipierte Gebäude setzt auf alpine Klarheit und Minimalismus: Materialien wie Beton, Glas und unbehandeltes Holz schaffen eine Verbindung zwischen Interieur und Landschaft. Großflächige Glasfronten öffnen den Innenraum nach außen.

Neue Ufer: Drei Tendenzen, die das Seebauen prägen
Die zeitgenössische Architektur rund um die Seen ist geprägt von einer neuen Sensibilität. Sie folgt keiner Moden mehr, sondern Haltungen. Drei Trends sind dabei besonders prägnant:
Rückzugsarchitektur
Je überladener der Alltag, desto stiller die Sehnsuchtsorte. Am See bedeutet das: Mikrohäuser statt Villen, modulare Systeme statt Maßpaläste. Architekten entwerfen Raumkonzepte, die mit wenigen Quadratmetern auskommen – dafür mit maximaler Offenheit zum See.
Diese neue Rückzugsarchitektur setzt auf das Wesentliche: ein gutes Raumklima, visuelle Ruhe, einfache Materialien. Der Fokus liegt nicht auf Repräsentation, sondern auf Erfahrung. Der wahre Luxus ist nicht Quadratmeterzahl – sondern das Fenster zum Wasser.
Materialbewusstsein
Seearchitektur war lange von glatten Oberflächen und Showeffekten geprägt. Heute steht das Gegenteil im Fokus: natürliche Materialien, die altern dürfen und dadurch Charakter gewinnen. Holz, das silbrig verwittert. Naturstein, der mit dem Licht spielt. Beton, der nicht kaschiert, sondern zeigt.
Es geht nicht mehr um den perfekten Bau, sondern um den stimmigen. Um Gebäude, die mit den Jahreszeiten leben – nicht gegen sie. Nachhaltigkeit wird nicht erklärt, sondern gebaut: durch regionale Wertschöpfung, durch Baubiologie, durch das Weglassen des Unnötigen.
Erlebnisräume statt Statussymbole
Der See wird demokratisch. Immer mehr Projekte orientieren sich nicht an der Exklusivität, sondern an der Zugänglichkeit. Öffentliche Stege, gestaltete Seeufer, frei zugängliche Badehäuser – Architektur wird zum Ermöglicher.
Auch Hoteldesign folgt diesem Paradigmenwechsel: Boutique-Retreats ersetzen Bettenburgen, Raumqualität ersetzt Flächenmasse. Architektur schafft nicht mehr Distanz, sondern Nähe.
© Hoffelner Schmid, Hertl Architekten /Pau Ott, Lakonis, Werzers Resort, Regitnig, VA House