Südtirols Interior- und Architekturszene: Europas unterschätztes Kraftzentrum

Mehr als nur Postkarten-Idylle – Südtirol ist ein Hotspot für moderne Architektur und Interior Design, in dem nachhaltige Konzepte, zeitlose Ästhetik und alpine Verwurzelung in innovativen Projekten zusammentreffen.

Südtirol ist bekannt für seine Berge, Weinberge und Kulinarik. Doch wer genauer hinsieht, erkennt ein zweites, leiseres Aushängeschild: eine bemerkenswerte Dichte an innovativer Architektur und Interior-Gestaltung. Die Region hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem kreativen Brennpunkt entwickelt. Fernab urbaner Metropolen ist hier ein Designlabor entstanden, das traditionelle Handwerkskunst mit visionärer Gestaltungskraft vereint.

Wer kennt ihn nicht? Allen voran ist es Matteo Thun, der gebürtige Bozner mit Sitz in Mailand, der Südtirols Architektur-DNA international sichtbar gemacht hat. Mit Projekten wie dem Vigilius Mountain Resort in Lana zeigt er, wie sich Architektur buchstäblich in den Hang legt. Thun plädiert für eine botanische Architektur, die mit statt gegen die Natur arbeitet. Seine Philosophie: Zero Kilometer, Zero CO₂, Zero Waste. Architektur sei nicht Selbstdarstellung, sondern Dienst an der Umgebung.

Werner Tscholl, ebenfalls Südtiroler, verfolgt einen ähnlichen Weg mit anderen Mitteln. Seine Erweiterung der Kellerei Tramin ist ein Paradebeispiel für selbstbewusste, aber kontextuelle Architektur. Sichtbeton, Stahl, Glas – aber nie kühl. Tscholl integriert zeitgenössische Formen sensibel in die alpine Topografie. Auch bei Bildungseinrichtungen wie der Schule in Burgeis zeigt er, dass gute Architektur auch dort entstehen kann, wo man sie nicht erwartet.

Weitere Protagonisten wie Peter Pichler mit dem Oberholz Mountain Hut oder Pedevilla Architects mit Hotelprojekten wie dem Bühelwirt verkörpern eine Generation, die sich kompromisslos dem Ort verpflichtet fühlt – ohne auf internationalen Anspruch zu verzichten.

Auch im Inneren wird Region neu gedacht

Während die Architektur oft das große Bild prägt, sind es die Interior Designerinnen und Designer, die das tägliche Erleben formen. Südtirol hat auch hier eine vitale Szene aufgebaut, die das Regionale neu denkt.

Simon Senoner aus Brixen entwirft exklusive Chalets wie Lum d’Or und Alpurio. Seine Designs setzen auf warme Materialien, klare Linien und viel Licht. The perfect combination of contemporary style and craftsmanship, beschreibt er selbst seinen Ansatz – und trifft damit den Nerv der Zeit: stilvoll, aber zurückhaltend, luxuriös, aber nicht prätentiös.

Ähnlich sensibel arbeitet Petra Rohregger mit ihrem Studio Petra.interiordesign. Ihre Innenräume verbinden asiatische Klarheit mit mediterraner Leichtigkeit. Jedes Projekt wird maßgeschneidert, stets mit Fokus auf die Persönlichkeit der künftigen Bewohnerinnen und Bewohner.

Kurt Steurer, mit jahrzehntelanger Erfahrung und eigener Tischlerei, setzt auf maßgefertigte Lebensräume: Küchen, Bibliotheken, Schlafzimmer – alles im Spannungsfeld von Moderne und Wohnlichkeit. Dazu kommen Studios wie Erdman Innenarchitektur in Brixen oder Haidacher in Percha, die mit Materialkompetenz, Planungsstärke und Liebe zum Detail regionale Lösungen auf hohem gestalterischen Niveau anbieten.

Best Practices in Südtirol

Kellerei Tramin (Tramin an der Weinstraße)

Architektur: Werner Tscholl
Der Erweiterungsbau der Kellerei Tramin wurde 2010 fertiggestellt. Die Fassade besteht aus Sichtbeton und einer skulpturalen Stahlstruktur, die sich formal an Rebstöcke anlehnt. Der Eingang erfolgt über eine langgezogene Rampe, die das Gebäude mit dem Gelände verzahnt. Die Innenräume sind funktional organisiert, mit gezielt gesetzten Blickachsen und einer klaren Materialwahl. Die Architektur betont den Produktionscharakter der Kellerei und integriert gestalterische Elemente ohne dekorative Überhöhung.

Oberholz Mountain Hut (Obereggen)

Architektur: Peter Pichler Architecture & Pavol Mikolajcak
Die Oberholz-Hütte wurde auf 2.000 Metern Höhe errichtet und besteht vollständig aus Fichten- und Lärchenholz. Drei Gebäudearme ragen vom zentralen Baukörper aus in unterschiedliche Richtungen und orientieren sich an topografischen Gegebenheiten. Das Raumkonzept ist offen, mit großen Fensterflächen und einem sichtbaren Dachstuhl. Die Konstruktion folgt modernen Holzbauprinzipien, umgesetzt in handwerklich präziser Ausführung. Die architektonische Formgebung ist funktional begründet und reduziert gehalten.
Chalet Lum d’Or (Wolkenstein / Val Gardena)

Interior Design: Simon Senoner
Das Chalet umfasst mehrere Wohneinheiten mit offenen Grundrissen, bodentiefen Fenstern und zurückhaltender Gestaltung. Die verwendeten Materialien – Holz, Stein, Leder – stammen überwiegend aus der Region. Die Innenräume sind hochwertig ausgestattet, auf dekorative Effekte wurde verzichtet. Die Möblierung wurde zum Großteil maßgefertigt und folgt einem klaren, zeitgemäßen Stil. Ziel war eine wohnliche Atmosphäre ohne stilistische Brüche.

© Petra Rohregger, Kurt Steurer, Peter Pichler Architecture, Simon Senoner, Kellerei Tramin

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