Italien oder Frankreich? Ein Stil-Duell unter südlicher Sonne

Während der Norden Italiens Tradition und Avantgarde vereint, geht es im hitzigen Süden chaotischer zu. Plus: ein Battle zwischen Le Midi (der französischen Riviera) und dem Mezzogiorno, also dem Süden Italiens. Psst, wir verraten vorab: Es gibt keinen Verlierer.

Elena Salmistraro ist Mailänderin, ihr Mann Sizilianer. Salmistraro ist Product-Designerin und Künstlerin, kooperiert mit Marken wie Bosa, Lithea oder auch mal einem Bikehersteller, wie aktuell Canyon. Ihre Produkte sind immer unverkennbar ein Salmistraro. Expressiv, verspielt – und vor allem: mit italienischer Seele. Sie ist sogar offizielle Botschafterin des italienischen Designs. Beispiel: ihr Grifo-Kleiderschrank für altreforme.

Sizilien: Der Schichten-Look

„Wenn ich an Sizilien denke, dann sofort an die Teste die Moro, die tragische Liebesgeschichte zwischen einer vornehmen Dame aus Palermo und einem jungen Araber“, führt Salmistraro in das Thema ein. Sie liebt es, mit italienischen Mythen und Legenden zu arbeiten, und Grifo – der arabische König – ist starker Ausdruck dieser Begeisterung. Der Schrank hat natürlich ein Pendant. Mata stammt von Salmistraros Design-Kollegen Antonio Aricò. Grifo ist ein außergewöhnliches Interieur-Stück, für die meisten vermutlich zu viel – von allem. Aber: Er verkörpert das, was nicht nur die norditalienische Gestalterin, sondern auch Süditalien ausmacht. Salmistraro schwärmt: „In Sizilien gibt es keine für sich allein stehende Design-Identität. Es ist ein Mosaik von sich überlappenden und miteinander verwobenen Geschichten. Hier erzählt jeder Stein, jedes Gericht und jeder Dialekt von der Vergangenheit – und ihren Schichten. Denken Sie nur daran, was hier los war! Griechen, Römer, Araber, Normannen, Spanier. Sie alle haben ihr eigenes Kapitel geschrieben, aber ein zusätzliches. Das alte wurde nie vollständig gelöscht. Es ist Slow Design, wenn man so will.“

Ihre Begeisterung ist kaum zu stoppen – und das macht schon beim Zuhören Freude. Die Designerin bringt Beispiele: „Die Keramik von Caltagirone, die Textilien mit arabischen Motiven, die barocke Architektur.“ Oder, um in die Deko abzudriften: die Tannenzapfen aus Stein oder Keramik, die Balkone und Terrassen schmücken und so etwas wie „ein Tribut an Siziliens üppige Natur sind“. Salmistraro, die die Sommermonate oft in Sizilien verbringt, kooperiert auch mit Local Heroes, konkret mit den Marken Lithea und Orografie. Wer sich heuer inspirieren lassen möchte, hat gleich zwei zusätzliche gute Gründe: Zum einen ist Agrigent an der Südküste Siziliens Italiens Kulturhauptstadt 2025, zum anderen findet im Oktober wieder die Edit Naples statt, ein Tipp von Salmistraro. Spannend: „Um wirklich zeitgemäß zu sein, braucht Design meiner Meinung nach eine tiefe Verbundenheit mit dem Platz, an dem es entstanden ist.“ Für uns steht Italien auch für selbstbewussten, fast gleißenden Luxus, für Schein und Sein in ewiger Verbundenheit. Reflections ist ein Label aus Kopenhagen, aber die farbgewaltigen Glas-Designs spiegeln die Kraft des Mezzogiorno wider. 

Apulien: Sommer-Sprenkel

Alternativ kann man es sich auch in Apulien gut gehen lassen. Ganz schön gut gehen lassen. Es riecht nach Jasmin, die Sonne brennt unbarmherzig, die Trulli – die typischen kleinen Häuschen mit kegelförmigen Dächern – trotzen der Zeit und ihren Moden. Das Design dieser Region ist ‚down to earth‘, könnte man sagen. Liebkind in Sachen Souvenirs: die Schizzato-Keramik, bedeutet übersetzt so viel wie angespritzt. Auch durchgeknallt, aber die erste Übersetzung passt wohl besser. Wer auf Englisch danach suchen möchte, tippt am besten „speckled ceramic“ ein, schon beim ersten Foto weiß man, worum es geht. Kennt man, hat man schon gesehen. Studio Riviera und Bisotti sind zwei Namen, die man sich für das meist mit Olivenzweigen bemalte Design merken kann – und die nach Österreich liefern. Noch besser ist natürlich, man kauft vor Ort. In Sachen Check-in ab Juli am Markt: das Mövenpick Bari in der adriatischen Hafenstadt. Design DE LUXE erwischte Beatrice Martinet, Vizepräsidentin Interior Design für Accors Premium- und Lifestyle-Marken – und somit auch Mövenpick –, in der Vorbereitungsphase. Die etwas ungewöhnliche Frage: Angenommen, alle mediterranen Länder und Regionen würden sich – einem Familienessen gleich – an einem Tisch versammeln: Wer wäre denn dann Apulien? „Ich würde sagen: die künstlerische Tante“, lacht Martinet. „Sie ist einzigartig – mit ihrer Leidenschaft und Kreativität und ihrem Appetit aufs Leben. Sie ist diejenige, die jeden dazu bringt zu tanzen, die auf Familientreffen für Spaß und Gelächter sorgt.“ Wenig überraschend bringt die Französin an dieser Stelle das neue Mövenpick in Apuliens Hauptstadt ein. „Genau wie diese künstlerische Tante wird sich das Hotel neugierig, charakterstark und großzügig präsentieren.“ Das Interior Design vom Studio Ermanno Caroppi bezieht sich auf die Historie und Natur, um nur ein Beispiel zu nennen: die Textilindus­trie, konkret Spitze und Stickerei. Es werden sich zumindest Akzente in diese Richtung finden, so Martinet. Und weiter: „Das warme Beige von Kalksteinen, das satte Terrakotta der Fliesen und das Tiefgrün der Oliven verbinden das Gebäue mit seiner Umgebung.“ Alleine diese Worte strahlen schon Ruhe aus. Und Zeitgeist. 

Amalfiküste: sauer macht schön

Konfettibunte Häuschen, die wie Wächter über kleinen Buchten thronen. Zitronenbäume, schiefe Pinien, gelbe Vespas auf Panoramastraßen, Kopftücher, die im Wind wehen, Walle-walle-Kleider, die man beim Gang über die Steintreppen nach hochhalten muss. Gleich ob Positano oder Sorrent – dieser gerade mal 40 Kilometer lange Küstenabschnitt hat es zu Weltruhm gebracht. Es gibt einen eigenen Amalfi-Blauton, und High-Street-Modemarken haben T-Shirts mit Amalfi-Aufdrucken im Repertoire. Es ist aber klar, was das auch bedingt: Die Amalfiküste gilt in der Hochsaison als gnadenlos überlaufen – auch eine Verdoppelung der Eintrittsgebühren hat beispielsweise auf Capri keine Entspannung gebracht. Das kleine Procida („Bonbontüte vom Golf von Neapel“) wird gerne als Alternative gehandelt – mit Ursprungs- statt Glamourfaktor. Auf Procida gilt: Gibt dir das Leben Zitronen, mach Zitronensalat – mit Zwiebeln – daraus. Oder einen Lemon Slush. Man merkt: Die Zitrusfrüchte sind das Symbol der Region – und genau das kann man fürs Styling zu Hause besonders easy nutzen. Von H+M über das Textilwerk bis Bitossi – im Sommer geht eigentlich nichts ohne die saure Frucht auf Kissen, Tellern und Tischdecken. Dazu ergänzt sich ein edles Silbertablett, welches die orientalischen Einflüsse an der Amalfiküste versinnbildlicht. Ein ganz besonderes Highlight an dieser Küste ist das Anantara Convento di Amalfi Grand Hotel. Es haucht einem der Wahrzeichen der Amalfiküste neues Leben ein: einem in die Klippen gebauten Kapuzinerkloster aus dem 13. Jahrhundert. Letztlich war das kleine Städtchen Amalfi einmal die Hauptstadt der Seerepublik Amalfi, einst eine wichtige Handelsmacht im Mittelmeerraum. 

Côte d’Azur: bitte nicht anbiedern!

Sprung an die französische Riviera. Jane Birkin und Serge Gainsbourg, Brigitte Bardot und Alain Delon – die Cote d’Azur ist Spielplatz der Legenden, Geschichten in Azurblau und Streifenoptik, es riecht nach Lavendel, Thymian, Salbei und Wacholder. Hierher kommt nicht, wer das Chaos Süditaliens schätzt, nach Cannes, Nizza und Saint-Tropez reist, wer cruisen und flanieren möchte. Jacht- statt Designmesse, Joie de vivre statt Dolce Vita. Die Côte d’Azur ist wieder angesagt, man braucht sich nur etwa die T-Shirt-Aufdrucke der High-Street-Marken anzuschauen. Dieses alte Frankreich, man findet es entlang jeder Promenade. Im MC Beach Club in Monaco zum Beispiel. Diese Saison neu: das Restaurant Le Deck und das olympische Schwimmbecken bekamen ein Dekor von Dorothée Delaye. Es ist das Gefühl der Intimität, einer eleganten Zerbrechlichkeit, eines fast 100 Jahre alten Beach-Clubs. Salbei- oder doch olivgrüne Streifen ziehen sich durchs Design, es gibt dezent knirschende, weich gepolsterte Korbsessel. Wer ein ähnliches Modell sucht, wird eventuell bei Maison Louis Drucker fündig. Das Setting wirkt gediegen, romantisch-verspielt – und mondän. Ein Ausdruck, der zu keiner anderen Mittelmeer-Region so gut passt wie zur Côte d’Azur. Aus der Zeit gefallen und zeitlos zugleich. Das Chagall-Museum, das Picasso-Museum, die avantgardistische E.1027 von Eileen Grey (Tipp: die Dokufiktion „E.1027 Eileen Gray und das Haus am Meer“) – die französische Riviera spielt in einer eigenen Liga und biedert sich niemals an. In der Glasfabrik von Biot (La Verrerie de Biot) versucht man erst gar nicht, das Glas neu zu erfinden, und die Keramik setzt auf gelernte Motive. Und das ist gut so, denn die Stärke der Verrerie de Biot liegt im Erhalt der über 300 Modelle aus dem Familienerbe. Und auch die ikonischen blauen Sessel, die man von der Promenade in Nizza kennt, wirken vor allem als Gesamtbild. Die Originale stammen aus dem L’Atelier des Premières Chaises Bleues, IKEA hat mit dem Metall-Modell Genesön eine Interpretation auf Lager. Und wenn wir schon den Hupfer nach Skandinavien genommen haben: Auch nordisches Design kann das Gefühl der Riviera unterstützen. Wer die Côte d’Aspern kreieren möchte, setzt vor allem auf Details. Gestreifte Badetücher oder auch witzige Schwimmreifen (Petites Pommes!) sind ein Ansatz. Oder romantisch anmutende Gartenmöbel – der Online-Shop Loberon führt eventuell zu diesbezüglichen Exzessen. Beispielhaft: das Wandelement Loubejac, eine Deko-Uhr im XL-Format. Wir sagen nur Eisen, Vintage-Look. Dazu Rattan, Holz, Leinen mit französischem Toile-de-Jouy-Muster. Man kann durchaus in die Vollen greifen, aber nicht über die stilistischen Stränge schlagen. Den Italienern überlässt man den Glanz, die Franzosen lieben die Glorie.

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