Die Rückeroberung des Paradieses

In uns, mit uns, um uns herum. Die Natur ist seit jeher ein integraler Bestandteil der menschlichen Entwicklung, unserer kulturellen Evolution. Sie belebt uns, inspiriert die Dichtkunst, Musik und Malerei – und natürlich das Design.

Als Eva in den Apfel biss, hatte sie ja keine Ahnung, was sie uns antat – Frucht der Erkenntnis hin oder her. Denn seit das biblische Ur-Ehepaar den Garten Eden nach dem verbotenen Obstgenuss räumen musste, ist der Mensch bestrebt, das Paradies nachzubauen. So scheint es zumindest. Nicht umsonst haben die abrahamitischen Weltreligionen alle ein Konzept des Garten Eden gemeinsam. Schreitet man noch heute durch die maurischen Gärten der Alhambra, weidet sich an der üppigen Natur, lauscht den Wasserspielen in kunstvoll angelegten Becken und verzierten Brunnen, kann man nicht umhin zu denken: Da wusste jemand, wie das Paradies aussieht. Während hier eindeutig der Ästhetik der Vortritt gelassen wird, assoziieren wir den mittelalterlichen Klostergarten des Christentums mit der Heilwirkung der Natur – bis heute ziert der Name Hildegard von Bingen marketingwirksam vermeintlich heilsame Naturprodukte. Dabei kann man davon ausgehen, dass die berühmte Äbtissin ihre Heiligsprechung nicht ihrem grünen Daumen zu verdanken hatte. Von den persischen Gärten des heutigen Iran, die inmitten karger Wüstenlandschaften grüne Lebenslust verkörperten, zieht sich die Kombination von Natur und Kultur im formalen Garten bis in die Neuzeit. In der italienischen Renaissance, als man die Antike und ihre Kunstwerke aller Art wiederentdeckte, erlebte auch der Villengarten eine neue Blüte. Das Who is who von Florenz, Rom und anderen kulturellen Zentren hielt sich opulente Landsitze in den weichen Hügeln der Toskana. Dort zelebrierte man neben ausgiebigen Gelagen auch die Tradition der römischen und griechischen Villen des Patriziertums, wo Gartenanlagen einen fixen Bestandteil des Gesamtkonzepts darstellten. In die Literaturgeschichte Eingang gefunden hat diese Lebenskultur der High Society über Boccaccios Dekameron, in dem sich eine Gruppe junger Adeliger vor der Pest in einen Landsitz flüchtet und sich dort mit deftigen Geschichten über lüsterne Priester, untreue Bäckersfrauen und das sexuelle Erwachen der Jugend unterhält. Dieses Spannungsfeld von Geometrie und Lustbarkeit, von strenger Symmetrie und Üppigkeit gipfelt im Barock. Architektur und Gartengestaltung sind hier untrennbar verbunden – sowohl miteinander als auch mit dem Herrschaftsanspruch und der Repräsentation, die von einer Anlage wie Versailles ebenso verkörpert wird wie Vergnügungssucht und Dekadenz.

Der formale Garten als kultivierte Natur zieht sich durch alle Epochen, hier in Versailles.
Grün zwischen gesund und Verkaufsschmäh

Der Garten als Luxusgut hat auch heute nichts von seiner Aktualität verloren – wenngleich sich die Parameter verschoben haben. Während Marie Antoinette vielleicht mit einem eingefärbten Lämmchen spazierengegangen sein mag (auch wenn die Arme zum Teil unverdient zu ihrem schlechten Ruf gekommen ist), war die Lebensmittelproduktion und Landwirtschaft der ärmeren Bevölkerung zugewiesen. Luxus bestand darin, sich nicht mit der Herkunft dessen beschäftigen zu müssen, was auf den Teller kam. Das hat sich heute ins Gegenteil verkehrt. In Zeiten von zunehmender Urbanisierung und längst gewohnter Industrialisierung der landwirtschaftlichen Produktion bekommt das Ursprungsbewusstsein eine völlig neue Bedeutung. Längst ist „Bio“ teil jeder Verkaufskampagne – von den Jeans bis zur Marmelade. Überall begegnet uns der grüne Anstrich – im wahrsten Sinne des Wortes. Auch wenn McDonald’s das goldene M unangetastet ließ, so prangt es nun auf grünem Grund statt, wie zuvor, auf Rot. Auch das Billasackerl, das noch als gelb-rotes Maskottchen an den Filialeingängen hängt, bekommt Konkurrenz vom Gelb-Grün des neuen Billa Plus. Grüne Mode, Grüner Pass, bei Grün über die Straße – irgendwie ist alles gut, was „im grünen Bereich“ ist. Aber vertrauen wir dem immer noch? Man kann wohl mit einiger Sicherheit sagen: nein. Oder zumindest immer weniger. Wie Kinder, die den Brokkoli verweigern, sind wir nicht mehr bereit, alles zu schlucken, weil „Grün“ angeblich gesund ist. Wir wollen schon genauer hinsehen. Nein, nicht einmal nur das. Wir wollen mitmachen.

Auch in Ballungsräumen lässt sich Grün zelebrieren.

Eh logisch, sagen Wohnpsychologen. Der Mensch ist – aller kultureller Entwicklung zum Trotz – immer noch ein Naturwesen. Es ist die Natur, in der wir uns entwickelt haben, auf deren Einflüsse und Eindrücke unser Gehirn ausgelegt ist. Mit Natur um uns herum fühlen wir uns wohl, weil unser Gehirn sich zu Hause fühlt. Die Heilkräfte der Natur sind nicht nur chemischen Komponenten geschuldet, schon ihre Wahrnehmung macht uns gesünder. Längst ist für Projektentwickler die Freifläche zur Wohnung auch im innerstädtischen Raum von der Kür zur Pflicht avanciert. Balkon, Terrasse, Gemeinschaftsflächen, Parks und vereinzelte Bäume am Straßenrand: Grün muss sein. Wenige Quadratmeter werden zentimetergenau liebevoll gestaltet, luxuriöse Dachterrassen dem Profi des Vertrauens in die Hände gelegt. Urban-Gardening-Flächen sind auch im großvolumigen Wohnbau das Mittel der Wahl, wenn es um sozialen Zusammenhalt geht. Auch die Vertikale wird von urbaner Bepflanzung erobert, aufwendig werden Fassaden begrünt, ganze Flughafenhallen lässt man kunstvoll überwuchern. Auch die Design- und Möbelindustrie hat den Grünraum längst für sich entdeckt – der Outdoor- und Gartenbereich steht schon lange nicht mehr im Schatten des Interior Design, sondern hat sich einen gleichwertigen Platz im Rampenlicht gesichert.